Entsäuerung von Trinkwasser
Definition:
Die Entsäuerung ist die Verminderung der Konzentration des im Wasser gelösten Kohlenstoffdioxids durch Ausgasen oder Reaktion mit basischen Stoffen. Dies ist mit einem Anstieg des pH-Wertes im Wasser verbunden.
Allgemeine Ziele der Entsäuerung sind
- Die Begünstigung nachgeschalteter Aufbereitungsprozesse und/oder
- Die Verbesserung der korrosionschemischen Eigenschaften des Wassers gegenüber metallischen und zementgebundenen Werkstoffen
Verfahren:
Zur Entsäuerung werden vorrangig verschiedene Ausgasungsverfahren (oft Rohrgitterkaskaden), Filtration über Calciumcarbonat oder halbgebrannten Dolomit sowie Dosierung von Natriumhydroxid (Natronlauge) und Calciumhydroxid (Kalkmilch, Kalkwasser) eingesetzt.
Begriffe:
Calcit:
Calciumcarbonat-Modifikation, die unter den Temperatur- und Druckbedingungen der Trinkwasserversorgung maßgeblich ist.
Calciumcarbonat: CaCO3
Calcitlösekapazität und Calcitabscheidekapazität - Dc in mmol/I oder mg/I
Calcitlösekapazität: Stoffmenge oder Masse Calcit, die ein Wasser je Liter lösen kann, Dc > 0.
Calcitabscheidekapazität: Stoffmenge oder Masse Calcit, die ein Wasser je Liter abscheiden kann, Dc < 0.
CaCO3 +CO2 + H2O <--> Ca2+ + 2HCO 3-
Calcitsättigung
Zustand des Wassers, bei dem im Kontakt mit Calcit weder Aflösung noch Abscheidung von Calcit stattfindet. Dc = 0. Anmerkung: Die Calcitsättigung wird auch als Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht bezeichnet.
Sättigungs-pH-Wert (auch pH-Wert der Calciumcarbonatsättigung, pH-Wert der Calcitsättigung)
CaCO3 + H+ <--> Ca2+ + HCO 3-
Entsäuerung
Verminderung der Kohlenstoffdioxidkonzentration im Wasser verbunden mit dem Anstieg des pH-Wertes.
1. Notwendigkeit von Entsäuerungsmaßnahmen
Der Gehalt natürlicher Wässer an Wasserstoffionen hat für den Menschen keine direkte gesundheitliche Bedeutung. Er ist aber von maßgeblichem Einfluss auf die Erhaltung der Qualität des Trinkwassers bei der Wasserverteilung und vor allem in der Hausinstallationen. Eine Beeinträchtigung der Wasserqualität kann durch den Übergang von unerwünschten Stoffen aus den Leitungsmaterialien in das Trinkwasser erfolgen.
Bei verzinkten Stahlleitungen und bei Kupferleitungen besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem pH-Wert des Wassers und den im Trinkwasser nach Stagnation auftretenden Zink- bzw. Kupferkonzentrationen. Je tiefer der pH-Wert, um so höher sind die Gehalte dieser Schwermetalle im stagnierenden Wasser Bei weicheren Wässern besteht in Bezug auf die Löslichkeit von Blei die gleiche Tendenz.
Zum Schutz des Verbrauchers vor überhöhten Schwermetallkonzentrationen im Trinkwasser ist es also sinnvoll, den pH-Wert so weit wie möglich anzuheben. Eine pH-Wert-Anhebung über 7,8 ist allerdings nicht erforderlich. Eine technische Grenze für eine pH-Wert-Anhebung stellt der pH-Wert dar, bei dem ein Wasser in den Bereich der Calcit-Abscheidung gelangt.
Für den Übergang von Sand und Asbest aus zementhaltigen Werkstoffen in das Trinkwasser ist nicht der absolute pH-Wert allein entscheidend. Wichtig ist hier die Calcit-Lösekapazität des Wassers. Eine pH-Wert-Erhöhung bewirkt in jedem Fall aber auch eine Verminderung des Calcit-Lösevermögens. Anzustreben ist bei zementgebundenen Werkstoffen der Zustand der Calcit-Sättigung. Dies gilt besonders für härtere Wässer. Bei weichen Wässern können sich beim Einstellen der Calcit-Sättigung hohe pH-Werte ergeben, was nachteilig sein kann (z.B. Störung der Desinfektion mit Chlor). Um Nachteile zu vermeiden und trotzdem aber den Sättigungszustand erreichen zu können, empfiehlt es sich in solchen Fällen, Entsäuerungsmaßnahmen mit einer Aufhärtung des Wassers zu kombinieren.
2. Forderungen der neuen Trinkwasserverordnung
Die Forderung der neuen Trinkwasserverordnung zur Entsäuerung ergeben sich aus Anlage 3, Nr. 18 Wasserstoffionenkonzentration (pH-Wert). Die Grenzwerte für den pH-Wert sind wie in der Trinkwasserverordnung alter Fassung pH > 6,5 und pH < 9,5. Die bisherigen Regelungen zum Sättigungs-pH-Wert werden in der neuen TrinkwV bezüglich Wasseraufbereitung durch folgende Formulierung ersetzt:
Wasser sollte nicht korrosiv wirken (Anmerkung 1 TrinkwV zum pH-Wert). Die Anmerkung verweist auf eine für das Wasser abgestimmte Materialwahl.
Die berechnete Calcitlösekapazität am Ausgang des Wasserwerkes darf 5 g/m3 CaCO3 nicht überschreiten; diese Forderung gilt als erfüllt, wenn der pH-Wert am Wasserwerksausgang > 7,7 ist.
Durch diese Neuregelung kann die Entsäuerung stets mit einfachen, betriebssicheren naturnahen Verfahren so realisiert werden, dass die Anforderungen der TrinkwV rechtssicher eingehalten werden.
Bild: Prüfschema Notwendigkeit einer Entsäuerung
4. Auslegungsziel von Entsäuerungsanlagen
Die Entscheidung über das Auslegungsziel der Entsäuerungsanlagen muss berücksichtigen, dass in der Praxis immer Schwankungen der Entsäuerungsleistung auftreten. Damit diese Schwankungen 5 g/m3 Calcitlösekapazität nicht überschreiten, sind die Entsäuerungsanlagen wie folgt zu bemessen:
- für Wässer mit Sättigungs-pH-Werten > 7,7 auf Einstellung von pH > 7,8 und
- für Wässer mit Sättigungs-pH-Werten < 7,7 auf Einstellung des Sättigungs-pH-Wertes. (Es ist nicht gefordert, 5 g/m3 Calcitlösekapazität einzuhalten.
5. Entsäuerungsverfahren
Die Entsäuerung von Trinkwasser kann auf physikalischem und auf chemischem Weg erfolgen.
Eine einfache physikalische Methode besteht darin, die überschüssige freie Kohlensäure in Form von Kohlenstoffdioxid durch drucklose (offene) Belüftung zu entfernen. Die Wirkungsgrade der Belüftungsverfahren und der Umstand, dass Luft selbst etwas Kohlenstoffdioxid enthält, begrenzt diese Methode derart, dass sie für weiche Wässer nicht zum Ziel führt.
Für chemische Verfahren gilt diese Einschränkung nicht. Apparativ einfach ist die Dosierung von Soda und Natronlauge. Sind größere Mengen Kohlensäure zu neutralisieren, so kann der Natriumgehalt im Trinkwasser dabei unerwünscht hohe Werte annehmen. Unvermeidlich ist dabei auch die Erhöhung der Hydrogencarbonat-Konzentration, welche bei der Verwendung von Soda größer ist, als bei der Verwendung von Natronlauge.
Apparativ aufwendiger ist die Entsäuerung mit Weißkalk, weil daraus zunächst Kalkmilch oder Kalkwasser bereitet werden müssen. Nebeneffekt ist ein Anstieg des Calciumgehaltes ("Härte") und des Gehaltes an Hydrogencarbonat. Auch die Filtration des zu entsäuernden Wassers über dolomitisches Filtermaterial ("halbgebrannter Dolomit"), führt zu einer Aufhärtung, wobei zusätzlich zu Calcium und Hydrogencarbonat auch Magnesium ins Wasser gelangt. Die weitestgehende Aufhärtung ergibt sich bei der Entsäuerung mittels gekörnten Calciumcarbonats ("Marmor", "Weißjura-Epsilon"). Diese letztgenannte Methode ist die einzige, bei der keine Überentsäuerung, d.h. Calciumcarbonat-Übersättigung, stattfinden kann. Bei allen anderen Verfahren muß der Effekt durch pH-Wert-Messung zumindest überwacht werden; besser ist u. U. eine Regelung über eine pH-Wert-Sollvorgabe.
Verfahren:
Die Entsäuerungsverfahren sind:
Die Ausgasung von Kohlenstoffdioxid wird auch als physikalische oder mechanische Entsäuerung und die Filtration über basisches Filtermaterial sowie die Dosierung basischer Stoffe als chemische Entsäuerung bezeichnet.
- Entsäuerung durch Ausgasen von Kohlenstoffdioxid
- Einstellung durch Filtration über basisches Filtermaterial
- Filtration über Calciumcarbonat CaCO3
CaCO3 + CO2 + H20 --> Ca2+ + HCO3-
- Filtration über halbgebrannten Dolomit CaCO3*MgO
CaCO3*MgO + 3CO2 + 2H2O <---> Ca2+ + Mg2+ + 4HCO3-
- Entsäuerung durch Dosierung basischer Stoffe
- Dosierung von Calciumhydroxid Ca(OH)2 als Kalkpulver, Kalkmilch oder Kalkwasser
Ca(OH)2 + 2CO2 <---> Ca2+ + 2HCO3-
- Dosierung von Natriumhydroxid NaOH als Natronlauge
NaOH + CO2 <---> Na+ + HCO3-
- Dosierung von Natriumcarbonat Na2CO3 als Natriumcarbonatlösung.
Die technischen Lieferbedingungen für Natronlauge, Soda, Weißkalk und dolomitisches Filtermaterial sind in DIN-Normen festgelegt.
Einsatzbereiche
Das Ziel der Entsäuerung kann grundsätzlich durch alle Entsäuerungsverfahren erreicht werden. Bei wirtschaftlicher Auslegung ergeben sich für die einzelnen Verfahren von der Wasserbeschaf-fenheit abhängige Vorzugsbereiche.
Tab.1: Vorzugsbereiche für den Einsatz der Entsäuerungsverfahren in Abhängigkeit von der Wasserbeschaffenheit
Verfahren
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Wasserbeschaffenheit im Zulauf zur Entsäuerung
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Ausgasen von Kohlenstoffdioxid
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c(Ca2+) x KS4,3 > 2 mmol2/l2
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Filtration über Calciumcarbonat
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KS4,3 + 2 KB8,2 < 1,5 mmol/l und c(Ca) < 0,75 mmol/l
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Filtration über halbgebrannten Dolomit
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KS4,3 + 2 KB8,2 < 2,5 mmol/l und KB8,2 > 0,1 mmol/l
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Dosierung basischer Stoffe
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keine Begrenzung
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6. Auswahl des geeignetsten Entsäuerungsverfahrens
Wegen der geschilderten Nebeneffekte, vor allem wegen der möglichen Veränderung der Härte und der Konzentration an Hydrogencarbonat muß sich die Auswahl des geeignetsten Verfahrens in erster Linie an der Rohwasser Analyse orientieren. In zweiter Linie sind die örtlichen Gegebenheiten (Raumbedarf, Stromanschluß) von Einfluß. Da sich die verschiedenen Entsäuerungsverfahren hinsichtlich des Aufwandes für Wartung, Bedienung und Kontrolle stark unterscheiden, hängt die Auswahl des Verfahrens auch von der personellen Ausstattung des Wasserwerkes ab. Für harte bis sehr harte Wässer ist die offene Belüftung am besten geeignet. Für mittelharte Wässer kann auch die Dosierung von Natronlauge in Frage kommen, wenn zum - nachträglichen- Einbau der Belüftungsanlage kein ausreichender Platz vorhanden ist.
Je weicher das Wasser desto geringer ist die Aussicht, es allein durch Belüftung in den Zustand der Calcit-Sättigung bringen zu können. Eine evtl. erforderliche Nachentsäuerung kann mittels Natronlauge oder auch mittels Soda erfolgen. Sehr weiche Wässer werden anlässlich der Entsäuerung zweckmäßigerweise aufgehärtet, um die Mindestkonzentrationen an Calcium-Ionen und Hydrogencarbonat zu er reichen, die zur Ausbildung korrosionshemmender Deckschichten in Rohren aus Eisenwerkstoffen und verzinktem Stahl erforderlich sind (siehe DIN 50930 Teile 2 und 3). Geeignete Verfahren hierzu sind die Dosierung von Kalkwasser, die Filtration über gekörntes Calciumcarbonat (z. B. "Weißjura-Epsilon") und überdolomitisches Material, wobei die Filtration über Calciumcarbonat den geringsten Betriebs- und Überwachungsaufwand erfordert.
7. Kosten der Entsäuerung
Sowohl die Herstellungskosten einschließlich Zinsen und Abschreibungen als auch die Betriebskosten von Entsäuerungsanlagen sind von mehreren Parametern abhängig, die sich nicht gut allgemein gültig erfassen lassen. So ist es z. B. möglich, kleinere Anlagen in vorhandenen Gebäuden unterzubringen, so dass die Bauwerkskosten entfallen. Die Betriebskosten für eine Entsäuerung setzen sich zusammen aus Kosten für Energie, Chemikalien, Reparatur und Wartung, Bedienung und Entsorgung. Allgemein läßt sich sagen, dass die spezifischen Betriebskosten um so geringer werden, je größer der Wasserdurchsatz und je länger die tägliche Betriebszeit ist.
In der Regel liegen die auf den Kubikmeter Trinkwasser bezogenen Gesamtkosten im Bereich von nur wenigen Cent.
Tab.2: Dosiermittel zur Entsäuerung
Dosiermittel zur Entsäuerung
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Natriumhydroxid (Natronlauge) NaOH Natriumcarbonat (Soda) Na2CO3 Natriumhydrogencarbonat NaHCO3 Calciumhydroxid (Kalkhydrat) Ca(OH)2 - Kalkmilch - Kalkwasser Calciumchlorid
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Literatur: DVGW Arbeitsblatt W214, Wasserchemie für Ingenieure
Abb.: Anlage zur Dosierung von Natronlauge
Auswahlkriterein für Entsäuerungsverfahren
Auswirkungen von Entsäuerungsverfahren
Einordnung von Entsäuerungsanlagen in die Aufbereitungstechnologie
Wellbahnkolonnen zur Entsäuerung
Rohrgitterkaskaden
Flachbettbelüfter
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